Watch Dogs 2 im Test

Mit Watch Dogs stellte Ubisoft vor einigen Jahren die erste große neue IP der aktuellen Konsolengeneration vor. Die Vorfreude und Erwartungen an den Titel waren immens, genauso aber auch die Ambitionen seitens der Entwickler. Nicht verwunderlich war es daher, dass das Open World Hacker-Abenteuer zwar von den meisten Kritikern als gut befunden wurde, letztlich seinem Hype aber nicht gerecht wurde. Nun, gut zwei Jahre später, kommt mit Watch Dogs 2  ein Nachfolger auf den Markt, der zwar auf der gleichen Gameplaybasis aufbaut, tonal aber eine ganz andere Richtung einschlägt. Und warum gerade das so gut funktioniert, erfahrt ihr in unserem Test.

Die Jugend von heute

Vorbei sind die Zeiten, in denen Hacker als zurückgezogene, weltfremde Sonderlinge gelten, die alleine zu Hause im Keller sitzen. Abgedrehte Hipster-Klamotten, coole Sprüche und fette Partys feiern, ein Leben auf der Überholspur eben – das sind die Hacker von heute, das ist Dedsec. Als Marcus Holloway zu Unrecht ins Visier der Regierung gerät, schließt er sich genau dieser Rebellen-Gruppe an, mit dem Ziel die üblen Machenschaften der Großkonzerne aufzudecken und zu Fall zu bringen. Im Gegensatz zum ersten Teil gibt es in Watch Dogs 2 keine charaktergetriebene Story aufgrund persönlicher Schicksale. Zwar spielt und steuert ihr Marcus, doch im Mittelpunkt steht im Grunde die gesamte Hacker-Gruppe Dedsec.

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Ausschweifende Hintergrundgeschichten und komplexe Figuren gibt es daher nicht, die Kernfiguren werden in ihrem Auftreten meist auf ein paar wenige Attribute reduziert. So gibt es z.B. die taffe Punk-Lady Sitara, den lautstarken Mechaniker Wrench oder den sozial ungeschickten aber sehr fähigen Hacker Josh. Die lockeren Unterhaltungen zwischen den Mitgliedern sind zunächst erfrischend, können auf Dauer aber sehr anstrengend sein und  schwanken oft zwischen „ganz lustig“ und „nervtötend peinlich“. Nach dem zwanzigsten Popkultur-Zitat und der Erwähnung von hippen Wörtern wie Facebook, Selfie, Spotify, Follower und Co. im Minutentakt, sollte es nämlich auch der Letzte verstanden haben – das sind junge coole Typen die das Leben locker und leicht angehen! Leider wirkt es aber, als wären die Dialoge von Opa und Oma nach einem 3-Tage-Crashkurs in „Jugendsprache“ geschrieben worden. Nichtsdestotrotz hat es die merkwürdige Truppe geschafft mir nach den 20+ Stunden Spielzeit durchaus ans Herz zu wachsen und ein gewisses Teamgefühl zu vermitteln.

Humor an erster Stelle

Glücklicherweise rettet sich das Spiel, indem es sich selbst nicht ernst nimmt. Überall schwebt eine augenzwinkernde Note mit und die vielen Anspielungen auf reale Orte/Ereignisse sind grandios. So muss man in einer Mission einen Großkonzern namens Nudle (siehe nächstes Bild) infiltrieren, indem man sich als Busfahrer der Angestellten ausgibt oder wiederum an anderer Stelle muss man die Wahlplakate eines gewissen Herrn Thruss sabotieren. Gleiches gilt für die amüsanten Gespräche der Passanten, die sich hier und da gerne mal über Themen wie „Early Access-Spiele“ aufregen. Auch Ubisoft selbst hat sich gleich in mehrerer Hinsicht in der Spielwelt verewigt, über deren Inhalt ich an dieser Stelle aber nichts verraten möchte.

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Schöne neue (Spiel-)Welt

San Francisco stellt sich dabei als perfekter Schauplatz heraus. Dank der hauptsächlich warmen Farben und abwechslungsreichen Gebiete wird hier genau der Ton getroffen, der durch die Figuren und Geschehnisse erwartet wird. Die Stadt samt ihrer Nebenareale ist groß und lebendig, wirkt dabei aber nicht erschlagend wie man es aus anderen Open World-Spielen kennt. Es gibt keinerlei Aussichtstürme die man erklimmen muss um Teile der Stadt und ihrer Geheimnisse aufzudecken, stattdessen gilt das Motto: erkunde selbst! Die komplette Karte ist von Beginn an ersichtlich und auch einige Schnellreisepunkte hat man sofort zur Verfügung. Weitere Icons wie Shops, Missionen und Hacker-Basen schaltet man nämlich erst dann frei, wenn man nah genug an ihnen in der Spielwelt vorbeikommt. Natürlich stehen einem dafür wieder jede Menge verschiedener Fortbewegungsmittel wie Autos, Busse, Motorräder, Straßenbahnen oder Segelboote zur Verfügung. Die arcadige Fahrphysik ist allerdings ungewohnt leichtfällig, wodurch kleinere Bewegungen das Auto schnell aus der Bahn bringen können und dadurch Unfälle vorprogrammiert sind.

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Marcus ist kein Assassine!

Wer sich dafür entscheidet zu Fuß zu gehen, der bekommt mit Marcus einen durchaus fähigen Free-Runner, der deutlich geschmeidiger als noch Aiden Pearce auftritt. An die Bewegungsfreiheit der hauseigenen Assassinen kommt er zwar nicht ran, aber das muss er auch nicht. Das Klettern auf hohe Gebäude wird dadurch sogar interessanter, weil man zunächst den richtigen Weg herausfinden muss, was wiederum gerne mal in kleinen Mini-Rätseln endet. Beispielsweise muss man sich in Kräne hacken, um Gegenstände aus dem Weg zu räumen oder sich selbst auf höhere Ebenen zu transportieren. Einzig schade sind die etwas undurchsichtigen Regeln beim Klettern und Springen – sprich welche Zäune und Anhöhen kann man erklimmen und welche nicht. Eine manuelle Spungfunktion hätte dem Spiel deshalb auch gut getan.

Mehr Follower = mehr Power

Viele der Missionen haben das Ziel sich in Gebäude zu schleusen um dort Informationen zu beschaffen oder Geräte zu sabotieren – und wie macht man das? Natürlich durch gekonntes Hacken! Durch das Abschließen von Missionen erhält man „Follower“, quasi die Währung zum Ausbauen seiner Fähigkeiten. Sammelt man eine bestimmte Anzahl Follower, schaltet man Skillpunkte frei, die man anschließend in einen von sieben Talentzweigen investieren kann. Darunter natürlich das aus dem Vorgänger bekannte Scannen von Personen, wodurch man Nachrichten lesen bzw. abhören oder aber etwas Geld stehlen kann. Daneben gibt es noch Fähigkeiten wie das Hacken von Verkehrsnetzen und Fahrzeugen um jede Menge Chaos anzustellen sowie die Fähigkeit Personen zu markieren um somit falsche Fahndungen an die Polizei herauszugeben. Als besonders nützlich stellen sich zudem der Jumper, ein kleines ferngesteuertes Fahrzeug und die Drohne heraus, welche man etwas später freischalten kann. Mit etwas Geschick kann man damit ganze Missionen abschließen ohne auch nur einen Fuß in das Zielgebäude gesetzt zu haben.

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Ein wenig Abwechslung?

Wer beim Schleichen keinen Spaß hat, der kann sich natürlich auch Schusswaffen kaufen bzw. sie mit dem Dedsec eigenen 3D-Drucker nach Belieben erstellen. Watch Dogs 2 bietet einem auch diese Möglichkeit, das Spiel ist aber bei Weitem kein klassischer Shooter und wer sich versucht gewaltsam seinen Weg durchzuballern, der wird es deutlich schwerer haben als mit schlauer Stealth-Taktik. Abwechslung bieten darüber hinaus Aufträge als Taxifahrer, als Scout verschiedene Wahrzeichen abklappern, finden von speziellen Gegenständen zum Ausbauen der Fähigkeiten oder Hacker-Rätsel, die aus mehreren drehbaren Plattformen bestehen, die in der Spielwelt korrekt als Knotenpunkte verbunden werden müssen. Übrigens, wem Marcus Kleidungsstil nicht gefällt, der kann das an unzähligen Kleidershops in der Welt ändern. Die Anzahl an Möglichkeiten ist hier immens und stets mit viel Liebe zum Detail gestaltet.

Übergangslose Online-Integration

Auch Watch Dogs 2 bietet wieder einige Online-Multiplayer Möglichkeiten. Im Koop könnt ihr gemeinsam mit einem Kollegen die Open World unsicher machen und extra dafür designte Spezialmissionen erledigen. In der Praxis arteten diese Missionen bei mir häufig in purem Chaos aus, wodurch von den eigentlich tollen Schleichmöglichkeiten nicht viel übrig blieb. Jedoch dürfte das stark von den jeweiligen Mitspielern abhängen. In Hacker-Invasion muss man versuchen wie schon im Vorgänger einen anderen Spieler zu hacken, während dieser den Eindringling finden und erledigen muss. Zuletzt gibt es noch die Kopfgeldjagd, in der ein Spieler von der Polizei und Gegenspielern gejagt wird und entkommen muss. Sämtliche Modi sind übergangslos durch das Hauptspiel startbar und benötigen keinerlei Lobbys oder Ladebildschirme.

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Fazit

Watch Dogs 2 ist ein Nachfolger wie man ihn sich wünscht. Das karge Chicago wurde durch ein wunderschönes San Francisco ausgetauscht und statt erneut einer sich zu ernst nehmenden Rache-Story mit unsympathischem Protagonisten zu folgen, hat man den ganzen schweren Ballast einfach entfernt und gegen eine selbstreferenzielle und spaßige neue Handlung ausgetauscht. Zwar können die „total lustigen“ Charaktere mit ihrer hippen Sprache gerne auch mal nerven, letztendlich überwiegt aber die Freude an der Leichtigkeit und dem Entdecken der abwechslungsreichen Welt. Der tolle Soundtrack-Mix und die gelungene deutsche Synchronisation tun dabei ihr Übriges zur Atmosphäre. Sämtliche Gameplay-Aspekte wurden ausgebaut und verfeinert, und auch wenn Metal Gear Solid V weiterhin die Krone im Open World-Stealth-Segment hält, bringen die vielen verschiedenen Herangehensweisen auch hier jede Menge Spaß. Ich hoffe, dass Ubisoft auf diesem Gameplaygerüst sowie Look&Feel aufbaut und in einem eventuellen nächsten Teil das Ganze noch mit einem spannenderen Antagonisten/einer spannenderen Bedrohung verseht. Aber bis dahin kann ich Watch Dogs 2 nur jedem Fan von Open World- und Schleichspielen empfehlen, selbst wenn einem der erste Teil nicht sonderlich gefallen haben sollte.

Getestet auf PlayStation 4 Pro