Somerville im Test

Es kommt heutzutage selten vor, dass ich ein Spiel starte, bei dem ich nicht genau weiß, was mich überhaupt erwartet. In der Regel habe ich entweder bereits einen Vorgänger gespielt oder mich zumindest über die entsprechenden Werbematerialien ausreichend informiert – nicht so bei Somerville. Das mag zum einen daran liegen, dass es seitens Jumpship generell nur wenige Informationen zum Erstlingswerk des Studios gab. Aber auch daran, dass durch die Mitwirkenden, eine Assoziation zu den Titeln von Playdead (LIMBO, INSIDE) geschaffen wurde. Ich hatte also gar kein gesteigertes Interesse daran, bereits im Vorfeld viel über Somerville zu erfahren, weil diese Art von Spiel meiner Erfahrung nach am meisten davon profitiert, sie „blind“ zu erleben. Und so sollte ich das Game dann auch beginnen…

Somerville startet mit einer atmosphärischen Introsequenz, in der eine namenlose Familie eines Nachts von einem Ausflug nach Hause zurückkehrt. Wir erleben liebevolle Momente zwischen den Eltern, ihrem Kleinkind und dem Hund, begleitet von einer wunderschön melancholischen Pianomusik. Dieser Frieden währt aber nicht lange, denn kurze Zeit später kommt es zu großen Tumulten rund um das Haus. Der Nachthimmel wird getränkt durch die Farben eines Luftkampfs zweier außerirdischer Parteien, welcher in Zerstörung rund um die Gegend resultiert. Das ganze Chaos führt dazu, dass auch das Eigenheim in Mitleidenschaft gezogen wird und sich die Familie beim Versuch sich in Sicherheit zu bringen, verliert. Wir übernehmen die Kontrolle des Vaters, der nach dem Ereignis plötzlich mit einer mysteriösen Kraft gesegnet ist, und machen uns gemeinsam mit unserem Hund auf die Suche nach unserer Frau und Kind. Jumpship inszeniert in den ersten Spielminuten eine mitreißende Handlung und das ganz ohne Worte. Der Sci-Fi-Aspekt eines außerirdischen Konflikts, gepaart mit dem ganz persönlichen Schicksal des Familienvaters, hat mich zunächst fasziniert. Was ist hier passiert? Wo sind plötzlich alle Menschen hin und worauf läuft das ganze hinaus?

Während die persönliche Motivation in der ersten Hälfte im Vordergrund steht und mich durchaus am Ball gehalten hat, driftet das Spiel später leider in weniger nachvollziehbaren Handlungsbögen ab. Das Game schafft es ab diesem Moment nicht mehr, dass ich mich als Spieler in die Handlung investieren kann, da zu viel wage bleibt und die Geschehnisse schwer nachvollziehbar werden. Es wird deutlich, dass das Game auch kein gesteigertes Interesse daran hat, eine verständliche Erklärung für all die übernatürlichen Ereignisse zu liefern und stattdessen lieber mit spektakulären Szenen auf audiovisueller Ebene punkten möchte. Die anfängliche Stärke der Erzählung ohne Worte, wird gleichzeitig zu ihrem Nachteil: Das Spiel versteckt sich hinter wagen und zu interpretierenden Andeutungen und kommuniziert im Gegensatz zu seinen „Genrekollegen“ dabei zu wenig, um tatsächlich interessant deutbar zu sein. So bleibt zwar ein Gesamterlebnis, das man so nicht alle Tage hat, aber auch eines, das mich später ratlos zurückgelassen hat.

Wer darauf gehofft hat, dass sich das ganze wie eine Art LIMBO oder INSIDE spielt, den muss ich leider enttäuschen. Somerville präsentiert sich zwar rein audiovisuell auf eine ähnliche Weise wie die Playdead-Spiele, verzichtet dabei aber fast komplett auf Platforming-Elemente. Es gibt keine Taste zum Springen, wodurch die Spielfigur lediglich Laufen, Interagieren und ihre besondere Fähigkeit einsetzen kann. Diese besteht im Grunde aus zwei sich ergänzenden Varianten: Einmal ist es möglich die Spielwelt an bestimmten Stellen zu verflüssigen, während man sie später aber auch verfestigen kann. Dadurch entstehen ein paar nette Rätselideen im weiteren Verlauf des Spiels, bei denen man zum Beispiel durch geschickten Einsatz seiner Kräft dafür sorgen muss, dass man einen Aufzugschacht hochschwimmen kann. An anderer Stelle wird es dann weniger kreativ und insgesamt hätte man auch deutlich mehr mit den – eigentlich wirklich interessanten – Fähigkeiten anstellen können.

Jumpship schafft es dabei aber leider nicht, eine gut lesbare Spielwelt zu kreieren. Immer wieder kommt es vor, dass zu interagierende Objekte nicht direkt ersichtlich sind und zu Leerlauf oder frustigem Absuchen der Gegend führen. Das wäre halb so schlimm, würde sich die Spielfigur gut und knackig steuern. Stattdessen wurde hier aber auf schwammige, langsame und hakelige Bewegungen gesetzt, die sich konstant danach anfühlen, als hätte man einen großen Input-Lag. Das wird besonders in einigen der Fluchtsequenzen deutlich, in denen man vor der außerirdischen Bedrohung wegrennen muss. Eine vertane Chance ist auch, dass der Hund und spätere Begleiter, leider kaum bis gar nicht in die Rätsel miteingebunden werden und stattdessen die meiste Zeit lediglich als visuelle Begleiter dienen. Zu allem Überfluss ist das Game aktuell auch in keinem guten technischen Zustand. Für meinen Test habe ich sowohl die PC-Version, als auch die Xbox Series S-Version gespielt und leider haben beide Geräte mit starken Framerateproblemen, Glitches und Bugs zu kämpfen. Dadurch kam es mehr als einmal vor, dass sich der Charakter in der Spielwelt verhakt hat und nur durch einen Neustart gerettet werden konnte. So bleibt abschließend zwar ein interessantes Grundkonzept, das aber mehr an Politur und Feinschliff benötigt hätte.

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Fazit

Somerville ist ein faszinierendes Werk, das es mir allerdings wirklich schwer macht. Während ich auf der einen Seite die gelungene Inszenierung und die – vor allem zu Beginn – starke Atmosphäre bewundere, trübt dieser Eindruck auf der anderen Seite leider durch sein zu behäbiges Gameplay, die vielen technischen Unannehmlichkeiten und eine wirre Handlung. Es wirkt so, als haben die Entwickler bestimmte Szenen im Kopf gehabt, die für sich genommen zwar audiovisuell wirkungsvoll sein können, als großes Ganzes aber einfach nicht zusammenpassen und am Ende in einem Werk resultieren, das nicht ganz weiß, was es eigentlich sein will. Ich hoffe Jumpship nimmt diese Kritikpunkte zu Herzen und werkelt bereits an ihrem nächsten Projekt, auf das ich trotz, oder vor allem wegen aller Kritik, sehr gespannt bin!

Einen ausführlichen Spoilertalk, bei dem wir über alle Aspekte des Games reden, wird zusätzlich in den kommenden Tagen erscheinen. Haltet also die Augen offen in euren Podcast-Playern oder ganz einfach bei uns auf der Startseite.