Ni No Kuni II: Schicksal eines Königreichs im Test

Mit Ni No Kuni: Fluch der Weißen Königin brachten Level-5 zum Ende der vergangenen Konsolengeneration eine kleine J-RPG Perle auf den Markt. In Zusammenarbeit mit dem japanischen Filmstudio Ghibli erschuf man ein märchenhaftes Rollenspiel in stilsicherer Anime-Optik, das sich inzwischen einer großen Fangemeinde erfreut. Gut fünf Jahre nach dessen Veröffentlichung hierzulande, bringen die Entwickler mit Ni No Kuni II: Schicksal eines Königreichs nun den lang erwarteten Nachfolger weltweit zeitgleich auf PlayStation 4 und PC. Ob sich die Wartezeit gelohnt hat und wie gut Teil 2 die großen Fußstapfen des Vorgängers ausfüllt, erfahrt ihr in unserem ausführlichen Test!

Wenige Tage vor der Krönung des jungen Prinzen Evan von Katzbuckel, starten enge Berater der königlichen Familie einen Putsch gegen diese, wodurch Evan gezwungen wird aus seinem Land zu fliehen. Unterstützt wird er dabei von Roland, einem Präsidenten aus einer anderen Welt, der sich nach einem Zwischenfall in seiner Welt plötzlich als junger Mann in Katzbuckel wiederfindet. Vertrieben aus der Heimat versucht Evan fortan mithilfe des ehemaligen Staatsoberhauptes als Berater nach Verbündeten zu suchen, um nicht nur seine Krone zurückzuerobern, sondern schlussendlich auch sämtliche Länder der Welt friedlich unter einem Banner zu vereinen. Ni No Kuni 2 wirft uns ohne allzu ausschweifenden Prolog mitten ins Geschehen und setzt damit ein Zeichen, welches noch kennzeichnend für den Rest des Spiels sein soll. Statt des gemächlichen Einstiegs des Vorgängers wird hier nicht lange gefackelt, bis man sich durch die ersten feindlichen Soldaten schnetzelt. Eine Entscheidung, die zwar dazu führt, dass man von Beginn an das neue Action-Kampfsystem verinnerlicht, doch auch eine, welche im Gegenzug die erzählerische Komponente vernachlässigt. Die eigentlich dramatischen Ereignisse im Auftakt zeigen nur wenig emotionale Wirkung, weil weder Charaktere noch Welt zu dem Zeitpunkt ausreichend etabliert wurden. So findet sich Roland sofort damit ab, dass er in einer anderen Welt ist, und Evan erfährt beinahe nur im Nebensatz, dass sein Vater gestorben ist. Während Roland mit der Zeit jedoch immer interessanter wird und sich zur zentralen Figur entwickelt, bleibt Evan bis zum Schluss ein extrem blasser und wenig facettenreicher Protagonist, dem jegliche Ecken und Kanten fehlen. Die von der Geschichte so sehr gewollte Charakterentwicklung vom naiven Prinzen zum erfahrenen König, gelingt daher auch nur mäßig. Ähnlich sieht es bei den dazustoßenden Party-Mitgliedern, wie beispielsweise den beiden Luftpiraten Shanti und Bracken, aus, die im Laufe der Handlung nur eine spärliche Charakterzeichnung erhalten und es somit auch nur selten über ihre stereotypischen Verhaltensweisen hinaus schaffen, etwas sinnvolles zur Story beizutragen.

Im direkten Gegensatz zum Anfang folgt bald ein entschleunigter Mittelteil, in dem man die verschiedenen Länder der Welt bereist und versucht, mit den dortigen Staatsoberhäuptern ein Bündnis zu schließen. Die Mission wird leider durch den sich immer wiederholenden Handlungsverlauf ermüdend und verschenkt dadurch eine Menge Potenzial. Besonders im Feld der politischen Intrigen und Machtspiele, in das sich Ni No Kuni II zweifelsohne begibt, wäre hier deutlich mehr drin gewesen. Nicht zuletzt fehlt es über einen langen Zeitraum an einem greifbaren Antagonisten, der nicht sofort nach zwei Sätzen wieder verschwindet. Erst zum Ende hin nimmt die Geschichte wieder Fahrt auf, man erfährt Hinter- und Beweggründe von Figuren und die eigentliche Bedrohung nimmt Form an. Doch bis dahin wirken viele der Kapitel ereignislos, was zum großen Teil der wenig überraschenden Geschichte geschuldet ist.

Das Game zielt trotz erwachsener Themen wie Krieg, Verlust und Verantwortung mit seiner generellen Präsentation auf eine eher jüngere Zielgruppe ab, was sich vor allem in den seichten, oft schon plumpen, Dialogen äußert. Sobald man sich mit diesem Punkt aber arrangieren kann, entfaltet sich auch eine der großen Stärken – nämlich die Verspieltheit und der Charme von Ni No Kuni II. Die Welt strotzt nur so vor sympathischen Bewohnern und interessanten Orten, die jede Menge kleine, amüsante Nebengeschichten mit sich bringen. Natürlich tragen auch der wieder märchenhafte Soundtrack von Joe Hisaishi und die Optik einen nicht unerheblichen Beitrag dazu bei. Vom gelungenen Anime-Grafikstil, der den Spirit von Ghibli-Filmen wie kaum ein Spiel zuvor auf den Bildschirm zaubert, über die detaillierten Animationen der Charaktere und Monster, bis hin zu den beeindruckenden Effekten der verschiedenen Zauber und Fähigkeiten. Zwar gibt es im Gegensatz zum Vorgänger keine Anime-Zwischensequenzen von Studio Ghibli mehr, doch bleibt so die visuelle Darstellung immerhin kohärent und es gibt keinen großen Bruch mehr beim Wechsel zur Spielgrafik.

Allerdings erlaubt sich das Spiel in Sachen Präsentation dennoch einen gravierenden Fehler – und zwar den spärlichen Gebrauch der Sprecher bzw. der vertonten Zwischensequenzen. Häufig kommt es vor, dass selbst in zusammenhängenden Szenen die mit Sprachausgabe und dynamischen Kamerafahrten beginnen, nach kurzer Zeit zu Textboxen und einzelnen Ausrufen gewechselt wird. Die Verwendung ist inkonsequent und reißt einen gerne Mal aus sehr stimmigen Momenten, wenn man beispielsweise eben noch eine leidenschaftliche Rede einer Figur hört und im nächsten Augenblick die Kamera statisch wird und Textboxen das gesprochene Wort ersetzen. Ein großes Lob gilt hingegen der deutschen Lokalisation, welche Namen und Wortspiele brillant an unsere Sprache angepasst  hat und etliche Figuren in den Texten sogar eigene Dialekte und Akzente erhalten haben. So lernt man durch diese nicht nur jede Menge Hintergrundinformationen über Orte, Ereignisse und kulturelle Unterschiede zwischen den Völkern, sondern kann gleichzeitig Bürger für das eigene Königreich gewinnen. Und genau hier greifen sowohl Spielmechanik als auch Geschichte wundervoll ineinander.

Aufgabe von Evan und Roland ist es im Laufe des Spiels nämlich ein Königreich zu erbauen. Dazu dient ein kleiner Aufbausimulator, wie man es beispielsweise von Titeln wie Sim City kennt, nur eben deutlich weniger komplex. Hier können Geschäfte für Waffen, Items, Zauber, Skills aber auch Produktionsstätte für Rohstoffe, Materialien und mehr errichtet werden. Zum Betreiben dieser ganzen Einrichtungen werden Einwohner benötigt, welche man durch Nebenmissionen überall aus der Welt rekrutieren kann. Dabei hat jeder dieser über 100 Figuren nicht nur mindestens eine kleine Geschichte die seinen Charakter skizziert, sondern auch spezielle Expertisen, die man für sein Königreich gebrauchen kann. So kann man mit Schneidern oder Schmieden beispielsweise besonders effizient im Bereich Waffen & Ausrüstungen forschen, was wiederum besseres Equipment für Evan und Co. in den Shops freischaltet.

Je mehr Einwohner man rekrutiert hat, desto höher ist das Bruttoinlandsprodukt des Königreichs und desto schneller kann man sich höherstufige Gebäude leisten. Das Konzept dieser kleinen Stadtsimulation geht im Kontext des Spiels perfekt auf, weil es einen niemals mit seinen Möglichkeiten überfordert, gleichzeitig aber stets genug Neues in Aussicht stellt, für das man seine königlichen Kronen sparen möchte. Parallel zur Geschichte, in der das Königreich wächst, steigen auch die unmittelbaren Gameplay-Vorteile, sei es nun im Kampf durch neue Ausrüstung und Fähigkeiten, oder Komfort-Funktionen wie ein erhöhtes Lauftempo, bis hin zu Rabatten in den Item-Shops. Die Bereitschaft sein Land auszubauen ist also gleich auf mehreren Ebenen gegeben und da alle Prozesse während des Spielens weiterlaufen, macht man auch konstant Fortschritt. Und wer nicht viel Zeit in diesem Aspekt von Ni No Kuni II verbringen möchte, kann ihn bis auf eine niedrige Mindestausbaustufe übrigens auch getrost ignorieren, da man auf dem Pfad der Haupthandlung nur selten in Schwierigkeiten gerät.

Den Großteil der Zeit verbringt man aber JRPG-typisch in Kämpfen und hier offenbart sich eine weitere Stärke des Spiels. Im Gegensatz zum Vorgänger, der auf eine Mischung aus aktiver Steuerung und passiven Befehlen gesetzt hat, gibt es dieses Mal ein kompromissloses Action-Kampfsystem in Echtzeit, in dem man jederzeit zwischen seinen drei vorher ausgewählten Teammitgliedern wechseln kann. Das Kampfsystem ist in Sachen Kombo- und Bewegungsvielfalt eher simpel gehalten, punktet aber durch seine Schnelligkeit und einem guten Trefferfeedback, das auch visuell sehr befriedigend ist. Zur Seite stehen außerdem kleine bunte Begleiter, genannt Gnuffis. Je nach Farbe besitzen diese unterschiedliche Fähigkeiten, wie z.B. das Errichten einer Barriere, Elementarangriffe, oder auch kontextuelle Aktionen bei Bossen. Bis auf letztere werden sie in Kämpfen aber nie wirklich gebraucht, da man sich auf dem Schlachtfeld zunächst zu den Gnuffis hinbewegen muss, um ihre Fähigkeiten zu aktivieren und das kostet Zeit. In der Praxis heißt die schnellere und effektivere Methode deshalb oft einfach weiter draufhauen. Trotzdem halten die Kämpfe bei Laune, weil man immer wieder auf neue Gegnertypen trifft, sei es nun einer der imposanten Wächterbosse, riesige Wüstenschlangen oder skurrile Arbeiterroboter. Wer sich unterfordert fühlt hat zudem die Möglichkeit sogenannte verfluchte Monster herauszufordern, die überall auf der Weltkarte verteilt sind. Hier braucht man in der Regel eine anständige Vorbereitung sowie passendes Equipment mit eventuellen Resistenzen und Stärken. Aufgrund der hohen Droprate von neuen Waffen und Gegenständen, kann die Bedienung der Menüs übrigens gerne mal fummelig werden. So ist es zwar möglich im Charaktermenü mit einem Klick die automatisch beste Waffe/Ausrüstung für eine Figur zu wählen, jedoch fallen darunter auch die ausgerüsteten Gegenstände der Mitstreiter – das daraus entstehende Dilemma ist klar.

Zum Schluss noch ein paar Worte zum neuen Eroberungsmodus. Um gegen feindliche Parteien in den Krieg zu ziehen, wurden RTS-artige Schlachten auf die Weltkarte integriert, in der die Figuren als Chibi-Versionen herumlaufen. Um Evan herum können bis zu vier verschiedene Arten von Truppen ausgewählt werden, die man auf Knopfdruck um den kleinen Prinzen herum kreisen lassen kann. Je nachdem von welcher Seite die Gegner angreifen, muss man die eigenen Truppen gezielt ausrichten, dass sie möglichst effektiv gegen ihre direkten Feinde sind. So muss man beispielsweise darauf achten, dass Bogenschützen-Truppen nicht geradeheraus auf Nahkämpfer zulaufen, sondern eher im Hintergrund bleiben. Ziel ist es, sich bis zum gegnerischen Anführer durchzukämpfen und dabei sämtliche Truppen zu erledigen. Das Ganze ist wenig anspruchsvoll und läuft letztlich darauf hinaus, dass man mit Evan nach vorne läuft und sich anschaut wie die niedlichen Truppen sich gegenseitig automatisch dezimieren. Als unregelmäßiger Einschub zum sonstigen Gameplay, sind die Schlachten aber durchaus amüsant.

Fazit

Ni No Kuni II: Schicksal eines Königreichs ist audiovisuell die konsequente Fortsetzung des 5 Jahre alten PlayStation 3-Rollenspiels, beschreitet auf Story- und Gameplay-Ebene jedoch etwas andere Wege. Hätte man mich vor dem Start des Spiels gefragt worauf ich mich am meisten freue, dann hätte ich wohl ohne zu zögern „Die Geschichte und ihre Charaktere“ geantwortet. Letztlich kam es aber so, dass mich vor allem die Kernspielmechaniken und damit im Konkreten das Wirtschaftssystem und die Kämpfe, etwas das in “Der Fluch der Weißen Königin“ noch einer meiner größten Kritikpunkte gewesen ist, für über 40 Stunden an den Bildschirm gefesselt haben.

Getestet auf PlayStation 4 Pro.